IN GEFAHR UND GROSSER NOT…

heinz.rogel
6 min readSep 4, 2016

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Gegen jeden Uhrzeigersinn

Wenn ein Alemanne auf Mallorca einen Handwerker bestellen will, steht er vor der Frage, ob es ein alemannischer oder ein einheimischer Handwerker sein soll. Je nachdem welchem zweckdienlichen Ratschlag oder welchem haltlosen Gerücht er eher zuneigt, wird er sich für das eine oder das andere entscheiden, seine Entscheidung aber in jedem Fall bereuen.

Denn der mallorquinische Handwerker erscheint in der Regel nicht zum verabredeten Termin, da er inzwischen zum selben Termin einen Auftrag von einem anderen Kunden angenommen hat (bei dem er übrigens aus diversen Gründen auch nicht erscheint). Handelt es sich um einen von Skrupeln geplagten Handwerker (auf Mallorca ein äußerst seltenes Phänomen), dann schickt er eine Woche später seinen Bruder, seinen Schwager oder einen Cousin zweiten Grades vorbei. Dieser weist sich mit einer Urkunde der Universitat de les Illes Balears als Ingenieur aus, hat aber keinerlei praktisches Geschick und ist auch theoretisch keiner ihm gestellten Aufgabe gewachsen.

Der alemannische Handwerker erscheint hingegen termingerecht und pünktlich und macht sich auch unverzüglich an die Arbeit. Diese bricht er jedoch schon nach zirka fünf Minuten ab. Sodann erklärt er dem Auftraggeber, welches mallorquinische Bauteil warum und wie lange schon nicht mehr zu reparieren, zu ersetzen oder rentabel herzustellen sei. Anschließend rät er zur Anschaffung eines komplett neuen Geräts, bietet an dabei behilflich zu sein und unterbreitet ein besonders günstiges Preisangebot. Geht der Auftraggeber nicht darauf ein, verabschiedet sich der alemannische Handwerker pünktlich und unverzüglich, jedoch nicht ohne eine Rechnung über seine Bemühungen einschließlich An- und Rückfahrt zu hinterlassen.

Aus diesem Dilemma führen hauptsächlich zwei Wege heraus. Einen davon haben Volker und seine Gattin eingeschlagen. Sie haben sich unter die Do-it-yourself-Amateure begeben, die nach dem Frühstück in den Gängen der Baumärkte von Manacor und Palma herumirren und im weiteren Tagesverlauf ihren Mitbewohnern und Nachbarn mit den neuesten Bohr-, Schleif- und Sägewerkzeugen die Siesta und das Abendessen verderben. Dabei kommt den beiden jedoch ein besonderer Umstand in die Quere.

Mein Freund Volker hat nämlich zwei linke Hände und seine Gattin zwei rechte. Man könnte das als Ausdruck ihrer auf Ergänzung beruhenden ehelichen Beziehung betrachten, wenn daraus nicht hin und wieder einige Probleme erwüchsen. Zum Beispiel beim Auswechseln einer Glühbirne für die Deckenlampe.

Zu diesem Zweck schickt die Hausfrau zuerst den Herrn des Hauses an die Front. Jedoch nicht, ohne ihn vorher mit ausführlichen Anweisungen zu versehen. Und erst recht nicht, ohne diese Anweisungen während ihrer Ausführung ausführlich zu ergänzen.

Die erste Anweisung betrifft die Frage, mit welcher seiner beiden linken Hände Volker die alte Glühbirne anfassen möge. Als Zweites verdeutlicht sie ihm verbal, gestisch und haptisch, in welche Richtung er die Glühbirne herauszudrehen habe, ob IM Uhrzeigersinn oder GEGEN DEN Uhrzeigersinn. Daraufhin folgt die Anweisung zum Eindrehen der neuen Glühbirne und so fort.

Im Regelfall lässt die Glühbirne sich trotz der Anweisungen nicht herausdrehen. Also nimmt Volkers Gattin die Sache in ihre beiden rechten Hände. Normalerweise gelingt es auch ihr nicht, die Glühbirne aus der Fassung zu schrauben. Es folgt gewöhnlich der Einsatz einer Zange. Nach erneuten ausführlichen Anweisungen ante acta und Ergänzungen in actu schafft es Volker, die Glühbirnenfassung der Deckenlampe völlig unbrauchbar zu machen. Die anschließende gegenseitige technische Beratung endet im Gegensatz zur sonst herrschenden ehelichen Harmonie zumeist im Unfrieden.

Schließlich wird ein provisorischer Ersatz für die Deckenlampe beschafft, also eine Stehlampe, eine Tischlampe oder irgendeine andere Ersatzlampe. Auf jeden Fall eine mit bereits eingeschraubter und funktionierender Glühbirne.

Trotz solcher Belege für ihre mangelnde Kompetenz in technischen Belangen verlassen sich Volker und seine Gattin immer noch und immer wieder auf ihre handwerklichen Fertigkeiten. Das unterscheidet sie von ihren Wohnungsnachbarn, den Meckels. Denn die Meckels, ein ebenso alemannisches, ebenso der älteren Generation angehöriges und ebenso geselliges Ehepaar wie Volker und seine Gattin, haben den zweiten Ausweg aus dem weiter oben beschriebenen Dilemma eingeschlagen. Und zwar den goldenen Mittelweg.

Die Meckels verlassen sich weder auf das Knowhow eines Handwerkers noch auf ihr eigenes, sondern auf das ihrer Verwandten, Freunde und Bekannten. Das hat sich nach ihren Erfahrungen sowohl als eher preisgünstig wie auch als recht effektiv erwiesen. Die Erfahrung, dass die Wahl des goldenen Mittelwegs auch gewisse Risiken birgt, ist ihnen bisher erspart geblieben. Nicht umsonst hat aber schon Friedrich von Logau mit seinem Sinnspruch In Gefahr und großer Not bringt der Mittelweg den Tod warnend den Finger erhoben.

Sie können sich, werter Leser, die Katastrophe vorstellen, die beim Zusammentreffen dreier Umstände zwangsläufig über die Meckels hereinbrechen würde. Wenn nämlich zum Ersten eine Reparatur in ihrer Wohnung anstünde. Wenn sie zum Zweiten wie üblich auf der Suche nach einer helfenden Hand im Bekanntenkreis wären. Und wenn sich drittens zu diesem Zeitpunkt zufällig Volker oder seine Gattin in der Wohnung der Meckels aufhielten. Begeben wir uns vom Konjunktiv zum Indikativ und von Ihrer Vorstellungskraft, werter Leser, zu den schrecklichen Tatsachen.

Die Julisonne über Cala Ratjada hat ihre Pflicht getan und hat alle ihr hingehaltenen Gesichter und Gliedmaßen ausgiebig gebräunt oder gerötet. Man sitzt auf der Terrasse, auf dem Balkon oder in der Bar und erholt sich von der Sonne, von der Siesta und von noch einem Tag im Paradies. Mein Freund Volker will heute Abend seinen Nachbarn dazu einladen, in ihrer Stammkneipe gemeinsam ein Fußballspiel anzusehen, und klingelt bei den Meckels. Herr Meckel öffnet die Tür, bittet Volker herein und führt ihm ganz nebenbei vor, welche Reparatur in seiner Küche ansteht. Damit ist das Schicksal der Meckels besiegelt. Volker holt seine Gattin herüber und die beiden machen sich umgehend daran, die Reparatur in die jeweils linken und rechten Hände zu nehmen.

Es geht um die Beseitigung eines kleinen Geruchsproblems. In der Nähe der Küchenspüle riecht es nach Abwasser. Volker ist der Meinung, man müsse eigentlich nur den Siphon unter der Spüle abmontieren, reinigen und wieder anmontieren. Seine Gattin ist anderer Meinung. Ihre Nasenflügel breiten sich aus, schwingen sich von der Spüle aus in höhere Sphären und ziehen Kreise unter der Zimmerdecke. Der Geruch komme von da oben, diagnostiziert sie fachfraulich.

Über der Spüle sind die Linien einer in die Decke eingelassenen quadratischen Platte zu erkennen. Volker wird von seiner Gattin angewiesen die Platte hochzudrücken, sie beiseitezuschieben und den Raum in der Zwischendecke zu inspizieren. Auf einem Küchenstuhl stehend versucht Volker, dieser Anweisung Folge zu leisten. Es gelingt ihm nicht, trotz beziehungsweise wegen der ergänzenden Anweisungen seiner Gattin. Also tauscht er wie gehabt seinen Platz mit ihr. Doch auch ihr gelingt es wie gehabt nicht. Die Meckels, zwischenzeitlich leicht beunruhigt, atmen auf. Doch Volker ist auf Anweisung seiner Gattin schon unterwegs, seinen Werkzeugkasten zu holen. Die Meckels sehen mit Bangen zu, wie er mittels dreier Hämmer verschiedener Größe die quadratische Platte an der Zimmerdecke zertrümmert.

Nach getaner Tat versucht Volker nun mit einer eigenhändig unbrauchbar gemachten Taschenlampe, sodann mit einer zweiten, von seiner Gattin demolierten Ersatztaschenlampe und schließlich mit der noch funktionierenden App-Lampe seines Handys sich in der Zwischendecke umzusehen. Er berichtet seiner Gattin, er sehe in Richtung der Küchenwand zwei Rohre, ein dickes, senkrecht verlaufendes und ein dünnes, waagrecht verlaufendes. Und an dem dicken, senkrecht verlaufenden Rohr befinde sich eine Art Drehgriff.

Die Meckels hören schaudernd zu, wie Volkers Gattin ihm erklärt, in welche Richtung er den Griff zu drehen habe, nicht IM, sondern GEGEN DEN Uhrzeigersinn. Doch der Griff lässt sich weder IM Uhrzeigersinn noch GEGEN ihn noch in irgendeinem anderen Sinn drehen. Die Meckels fallen sich erleichtert um den Hals. Aber zu früh gefreut. Denn nun erfolgt der übliche Wechsel von den zwei linken zu den zwei rechten Händen. Mit dem üblichen Ergebnis. Danach der übliche Einsatz der Zange…

Wenn man ihn noch fragen könnte, würde sich Herr Meckel nur bruchstückhaft an den Ablauf der Katastrophe erinnern können. Zum Beispiel an den furchtbaren Anblick seines Nachbarn, auf dem Küchenstuhl stehend, über und über braun besudelt. Oder an einzelne Szenen, in dem seine Nachbarin und seine Frau mit Waschschüsseln und Mülleimern herumrennen und damit braune Sturzbäche auffangen, die aus allen Himmelsrichtungen von der Küchendecke strömen. Oder an einen Vulkanausbruch mit herabregnender brauner Katzenstreu, braunen Wattestäbchen, braunen Präservativen, herumfliegenden Fetzen aus braunen Papierwindeln und Kompressen, auf dem Boden zerplatzenden Lavaklumpen aus braunem Frittierfett, braunem Schweineschmalz, braunen Schweinerippen, braunen Hammelkeulen, Hammelköpfen, Hammelsprüngen, mehreren Hammelherden samt braunen Hirtenhunden und tief gebräunten Hirten sowie den Teilnehmern einer Konferenz über die Züchtung des Braunen Mallorquinischen Churraschafs.

Noch Wochen nach Volkers Besuch bei den Meckels lässt sich deren ehemalige Wohnung nur mit der Spezialausrüstung der balearischen Abwasseragentur betreten. Die Meckels selbst sind inzwischen ausgezogen. Frau Meckel soll nach Deutschland zurückgekehrt sein, ob vorübergehend oder endgültig, das ist bisher ungeklärt. Man weiß aber, dass Herr Meckel noch auf Mallorca lebt. In Manacor. In der dortigen geschlossenen Abteilung der Psychiatrie.

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