BESETZT!

heinz.rogel
7 min readFeb 26, 2018

--

WER BESITZT, DER MUSS GERÜSTET SEIN

Wenn ich mich recht erinnere, begann auch die Geschichte mit Moritz bei “Can Toni”. Mein Freund Volker und ich hatten unser letztes Bier ausgetrunken und wir wollten aufbrechen, doch Joan, der Barkeeper, ließ uns nicht gehen. Wir sollten uns doch bitte des jungen Landsmanns da drüben annehmen, bat er und zeigte auf einen Tisch, den ein blonder Jüngling zu seinem Nachtlager erkoren hatte. Wir besichtigten den Jüngling, reanimierten ihn halbwegs und schafften ihn zu dem Hotel, dessen Namen er gelallt hatte. Nur um dort die Auskunft zu erhalten, dass er in dem Hotel zwar ein Zimmer gehabt habe, aber schon am zweiten Tag hinauskomplimentiert worden sei, wegen Problemen mit seiner Kreditkarte. Die Bitte der Rezeptionistin, seine Hotelrechnung zu begleichen, schlugen wir ab, da wir gerade erst seine Kneipenrechnung beglichen hatten. Wir warfen eine Münze, Volker verlor und wir schleiften Moritz zu Volkers Wohnung.

Wie Volker später erzählte, zeigte sich Moritz anfangs überaus charmant und höflich und bot ständig an, sich irgendwo und irgendwie nützlich zu machen, ob beim Kochen oder Putzen oder Einkaufen. So kam es, dass nicht nur Volkers Gattin den gutaussehenden jungen Gast ins Herz schloss, sondern auch ihre Freundin Renate, die gerade zu einem Kurzbesuch vorbeischaute. Sie und ihr Lebensgefährte Günther waren wieder einmal für ein paar Wochen dem alemannischen Winter entflohen und jetzt stand ihre Rückkehr bevor. Aus diesem Anlass brachte Renate die Schlüssel zu ihrer kleinen Finca in der Nähe der Cala Mesquida vorbei. Die vorübergehende Schlüsselgewalt, die Volkers Gattin über das Anwesen erhielt, war mit beiderseitigem Nutzen verbunden. Volker und seine Gattin würden in der Finca ab und zu nach dem Rechten sehen und dafür würde Volkers Gattin in dem außerhalb des Ortes liegenden Haus ihren Gesangsübungen nachgehen können, ohne dabei allzu viel Schaden anzurichten.

Am zweiten Tag von Moritz’ Beherbergung fehlten zwei Flaschen des besten Mante Negro Syrah, doch Volkers Gattin behauptete, Volker habe sich wahrscheinlich verzählt oder er habe vergessen, dass er den Wein irgendwann mal selber getrunken habe. Als Volker sie darauf aufmerksam machte, dass Moritz doch mit auffällig lila verfärbten Zähnen herumlaufe, schüttelte sie den Kopf und sah Volker mit einem langen, mitleidigen Blick an.

Am dritten Tag nahm Volkers Gattin ihren Moritz mit zu Renates Finca, denn er hatte ihren exotischen Tonleitern scheinbar andächtig zugehört und so wollte sie ihm den Genuss einiger ihrer neu eingeübten Puccini-Arien nicht vorenthalten. Als sie jedoch in der Finca begann, in der Rolle der Musetta aus “La Bohème” ihr einzigartiges Vibrato zu schärfen, und als sie sich dabei Moritz mit lasziven Bewegungen und frivolem Augenzwinkern näherte, floh er in den ersten Stock. Dort, im Einbauschrank des Schlafzimmers unter drei Bettdecken geschützt vor den fatalen Gesangsfrequenzen und vor den Flirtversuchen einer fülligen Femme fatale, sprach er einer Flasche Brandy zu, die er in der Hausbar gefunden hatte. Währenddessen erschütterte Volkers Gattin im Erdgeschoss mit ihrem lockenden Sirenengesang die Grundfesten des Gebäudes mithilfe der Arie “Quando m’en vo’ soletta”. Und sie schwebte dabei schwül-erotisch durch die Straßen von Paris und ließ die Passanten ungläubig ihren betörenden Wuchs bewundern.

Als am folgenden Tag die nächste Flasche Rotwein fehlte, und außerdem einige Geldscheine aus Volkers Portemonnaie, die sich unter der Matratze von Moritz’ Bett wiederfanden, da war es mit Volkers Geduld vorbei. Trotz des Protestgeschreis seiner Gattin legte er dem diebischen Gast in freundlichem Ton nahe sich ein anderes Domizil zu suchen. Moritz nahm dies mit seinem üblichen charmanten Lächeln zur Kenntnis, bat darum, noch einen Tag länger bleiben zu dürfen, und war am nächsten Morgen verschwunden. Mit ihm verschwunden war auch der Schlüssel zu Renates Finca, was Volkers Gattin jedoch erst mit zwei Tagen Verspätung bemerkte. Voll dunkler Ahnungen machte sie sich in Volkers Begleitung auf den Weg zur Cala Mesquida.

Schon von Weitem sahen sie mit Schrecken, dass es im Garten und auf der Terrasse der Finca hoch herging. Als sie näher kamen, machten sie ein Dutzend oder mehr junge Leute aus, die sich mit Kindern und Hunden bei Spiel und Tanz balgend und johlend vergnügten und schmausend um einen rauchenden Grill herum saßen und standen und Bier und Wein aus Günthers zünftigen Bierhumpen und Renates mundgeblasenen Weingläsern süffelten. Sie wollten die Eindringlinge zur Rede stellen, doch inzwischen hatten sich hinter dem Eingangstor drei muskulöse Hunde versammelt und forderten sie knurrend und bellend dazu auf, sich aus dem Staub zu machen. Ein paar von den jungen Leuten sahen zwar kurz auf, doch keiner machte Anstalten, zum Tor herüberzukommen. Volker rief ein paar Mal Moritz’ Namen, obwohl er ihn unter den Tanzenden und Schmausenden und Süffelnden nicht entdeckt hatte. Doch Moritz war entweder nicht da oder er zeigte sich nicht. Schließlich zogen sie wutschnaubend ab.

Auf dem Revier der Guardia Civil in Capdepera hörte sich der Polizeibeamte den Bericht von Volkers Gattin geduldig an, setzte sich dann an einen Computer und tippte ein paar Minuten lang mit zwei Fingern darauf herum. Anschließend ging er zu einem Regal mit Ablagefächern, nahm ein Blatt heraus und legte es vor Volker auf den Tresen. Darauf standen höchstwahrscheinlich in aller Ausführlichkeit alle Antworten auf alle Fragen zu dem vorliegenden Problem, jedoch leider nur auf Katalanisch. Der Beamte verzog seinen Mund zu einem freundlichen Abschiedslächeln, setzte sich an seinen Schreibtisch, öffnete den “Mundo Deportive” und studierte die Fußballnachrichten vom Vortag. Ob denn kein Polizeibeamter mit ihnen zur Finca zurückfahren werde, fragte Volkers Gattin. Der Beamte sah erstaunt auf und fragte, wozu. Sie habe doch die betreffende Adresse angegeben.

Hier sei der werte Leser kurz über das interessante Phänomen der Hausbesetzungen in Spanien aufgeklärt. Die spanische Verfassung verhält sich diesem Phänomen gegenüber wie ein nachsichtiger Familienvater, der seinen beiden in Streit geratenen Sprösslingen versichert, der eine habe mit seinem Anliegen völlig recht, der andere aber auch. Und der sie dann wegschickt, damit sie die Sache unter sich austragen. In der spanischen Lebenspraxis sieht das so aus:

Ein unbehauster Bürger nimmt sein verfassungsrechtlich verbrieftes Recht auf eine menschenwürdige Behausung wahr und besetzt ein Haus. Dessen Besitzer nimmt daraufhin sein verfassungsrechtlich verbrieftes Recht auf Eigentum wahr und verklagt den Besetzer auf Räumung des Hauses. Der anschließende Gerichtsprozess zieht sich nun über Monate oder Jahre hin, bis beide Parteien, der Besetzer und der Besitzer, den Termin erfahren, zu dem die Räumung ansteht. Der Besetzer zieht kurz vor dem Räumungstermin aus — natürlich unter Mitnahme diverser Einrichtungsgegenstände — und der Besitzer zieht wieder ein. Happy End also? Nicht unbedingt.

Denn sollte der Besitzer sich während der Besetzung unfreundliche oder gar feindliche Akte gegenüber dem Besetzer erlaubt haben, so muss er mit Vandalismus durch den Besetzer oder gar mit dem Besuch einer Bande von Straßenschlägern rechnen. Unter Umständen auch mit einer erneuten Besetzung seines Hauses, so dass die Geschichte wieder von vorn losgehen kann.

Diese äußerst interessante Rechtslage veranlasst übrigens immer mehr Alemannen, Briten und andere Europäer, sich eine Immobilie in Spanien anzuschaffen, um hier äußerst interessanten Rechtsstreitigkeiten und abenteuerlichen Erlebnissen mit Hausbesetzern nachgehen zu können.

Doch nun zurück zu den abenteuerlichen Erlebnissen rund um die Hausbesetzung an der Cala Mesquida.

Ich bin von einem mehrwöchigen Besuch in der alemannischen Heimat zurückgekehrt und treffe mich mit Volker bei “Can Toni”. Als Erstes will ich natürlich wissen, wie es mit der Besetzung von Renates und Günthers Finca weitergegangen ist. Da sei alles in Butter, sagt Volker. Ich freue mich für Renate und Günther und frage nach, ob die Besetzer also rausgeschmissen worden seien. Volker sieht mich erstaunt an und schüttelt den Kopf. Ich müsse doch wissen, dass man in Spanien Hausbesetzer nicht so einfach rausschmeißen könne. Das will mir nicht einleuchten, also erinnere ich Volker daran, dass er und seine Gattin doch eben dies von den Beamten der Guardia Civil damals verlangt hätten. Nun, das sei damals vielleicht so gewesen, räumt Volker ein, aber inzwischen sei er halt über das richtige Verhalten in so einem Fall aufgeklärt worden. Übrigens ebenso wie Renate und Günther. Durch wen er denn darüber aufgeklärt worden sei, frage ich skeptisch. Durch Moritz, antwortet Volker.

Renate und Günther waren damals nach der telefonischen Alarmierung durch Volkers Gattin unverzüglich wieder angereist und hatten den Kampf um ihre Finca aufgenommen. Doch weder ihr Rechtsanwalt noch die Guardia Civil und weder die Redakteure der Stuttgarter Allgemeinen noch die des Mallorca Merkur konnten ihnen zu ihrem Eigentum verhelfen. Jedenfalls nicht in der näheren Zukunft. Sie waren drauf und dran, unverrichteter Dinge wieder abzureisen, als auf einmal Moritz sich einschaltete und seine Vermittlungsdienste anbot. Die Verhandlungen mit den Besetzern zogen sich zwar etwas hin, doch Volker meint, das Ergebnis könne sich sehen lassen. Hier ist es:

Die zwei mallorquinischen Pärchen, die sich als die offiziellen Besetzer der Finca bezeichneten, wurden von Renate und Günther per Arbeitsvertrag als Hausmeister, Gärtnerin, Chauffeur und Stallmeisterin angestellt, mit angemessenem Einkommen einschließlich Kindergeld und Sozialversicherung. Zugleich mit ihrer Anstellung wurde ihnen das Wohnrecht im Hauptgebäude der Finca zugesprochen. Sie verpflichteten sich im Gegenzug schriftlich dazu, Renate und Günther mehrmals im Jahr das Nebengebäude — eine Art Gartenhütte — zur Bewohnung zu überlassen, ebenso wie die anteilige Nutzung des Pools. Außerdem erklärten sie sich bereit, für bestimmte inzwischen verkaufte Einrichtungsgegenstände — wie zum Beispiel das Heimkinosystem, die Stereoanlage und ein paar Teile der Einbauküche — Ersatz zu beschaffen. Natürlich gegen ein angemessenes Entgelt.

Und so ist bei dieser Hausbesetzung — im Gegensatz zum üblichen Gang der Dinge — tatsächlich einmal ein Happy End zu verzeichnen. Volker hat übrigens erfahren, dass die Kinder der Besetzer neulich bei Renate und Günther in Stuttgart zu Besuch waren. Als sie zurückkamen, hätten sie davon geschwärmt, wie toll das Haus von Tante Renate und Onkel Günther sei. Und sie hätten ihre Eltern gefragt, ob sie dieses tolle Haus nicht auch mal besetzen könnten.

--

--

heinz.rogel
heinz.rogel

Written by heinz.rogel

bad at everything, especially at writing satires — — — heinz.rogel@t-online.de

No responses yet