DAS FEIERBIEST VOM BALLERMANN

heinz.rogel
6 min readJul 20, 2017

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VOM DAUMEN UND VON ANDEREN SCHLIMMEN FINGERN

Mein Freund Volker wollte auf seine alten Tage noch mal reich und berühmt werden. Aber er gibt es nicht zu. Es sei ein Experiment gewesen, behauptet er. Aber gehen wir die Ereignisse der Reihe nach durch.

Es begann in der Nacht, als Volker und sein Neffe am Ballermann waren (siehe den Blog-Eintrag vom 22. Mai 2017, “Von ‘Aua im Kopf’ bis ‘Finger im Po’”). Mit den Erlebnissen in jener Nacht wurden bei Volker Erinnerungen aus der Jugend wach, vor allem solche aus der Fastnachtszeit. Er kramte deswegen in alten Aufzeichnungen herum und fand die Karnevalslieder, die er mal geschrieben hatte. Und die waren gar nicht so schlecht. Also versah er sie mit ein paar pikanten Zusätzen und schickte sie kurzentschlossen an das Management vom “Megapark”. Und danach, weil von denen keine Reaktion kam, an das vom “Bierkönig”. Und die haben geantwortet. Und ihn zu einem Gespräch eingeladen.

Nach der Begrüßung durch einen Büromenschen namens Gutbrodt werden ihm der Blaumeier und Loisl vorgestellt. Der Blaumeier ist Loisls Betreuer. Und Loisl ist ein früherer Fußballer und ein gegenwärtiger Sangeskünstler mit Zukunft. Sein Künstlername ist Willy Wabbel, er ist 35 Jahre jung und er stammt aus Deggendorf in Bayern. Im “Bierkönig” sei man auf der Suche nach einem Hit für Loisl, sagt Gutbrodt und einer von Volkers Songs habe das Potenzial dazu. Na ja, teilweise, schränkt der Blaumeier ein. Volker freut sich trotzdem.

Sie sitzen zu dritt in einer Art Konferenzraum. Der Blaumeier lässt Volker erst mal im Unklaren darüber, wo es langgehen soll. Er kriegt sich nicht ein vor Lobeshymnen über Loisls überragende Fähigkeiten als Unterhaltungskanone, über Loisls Workshops in der Comedy Akademie, über Loisls Praktikum bei RTL und über Loisls Pläne, sich später mal fürs Dschungelcamp zu bewerben. Über Loisls Sangeskünste sagt er aber nicht allzu viel.

Und Loisl selber, der sagt gar nichts. Der blickt nur stumm vom Blaumeier zu Volker und zurück zum Blaumeier und wabbelt, wie es sein Künstlername verlangt. Alles wabbelt an Willy Wabbel, sein Doppelkinn wabbelt, seine Hängebrüste unter dem XXL-T-Shirt wabbeln und der Rettungsring um seine Hüften wabbelt. Volker fragt ihn, was für Songs er denn so im “Bierkönig” wabb-, äh, singe, aber Loisl blickt nur stumm und wabbelnd von Volker zum Blaumeier und zurück zu Volker. Der Blaumeier greift ein. Loisl habe bisher nur auf Dorffesten gesungen. Aber er habe ein umfangreiches Repertoire und sei im Deggendorfer Raum ein berüchtigtes Feierbiest.

Endlich kommt der Blaumeier auf Volkers Karnevalssongs zu sprechen. Die Songs hätten was, bescheinigt er Volker, ganz eindeutig hätten die was. Aber da fehle eben doch dies und das. Ein Ballermann-Hit, der ließe sich nicht so einfach hinkritzeln, wie manch einer glaube. Volker ist ein bisschen angefressen, tut aber interessiert. Was denn das Dies und Das sei, das da fehle, fragt er. Der Blaumeier steht auf, geht hin und her und hält eine Rede über das Dies und Das eines Ballermann-Hits.

Ein Ballermann-Hit sei nicht zum Singen, sondern zum Mitsingen da. Genauer gesagt zum Mitgrölen. Und was lasse sich am besten mitgrölen? Alles, was mit Pipi und Kacka zu tun habe. Es müsse von vorn bis hinten so richtig krachen und stinken in einem Song, dann erst sei es ein echter Ballermann-Song. Je ungenierter ein Besucher da mitgrölen könne, desto sauwohler fühle er sich. Außerdem müsse es um Sex gehen, und zwar um säuischen Sex. Wenn der Ballermann und die Ballerfrau sich beim Mitgrölen so richtig aufgeilen könnten und wenn alle Hemmungen und alle Hüllen fallen… Hier unterbricht Volker den Redner. Aber das mit dem Pipi und dem Kacka und dem Sex, das sei doch alles drin in seinen Songs. Wo denn, fragt der Blaumeier, setzt sich hin und blättert in Volkers Songs herum. Volker rückt seinen Stuhl neben den vom Blaumeier und riecht, warum der Blaumeier der Blaumeier genannt wird. Er rückt wieder ein Stück weg und hält ihm eines seiner Blätter unter die Schnapsfahne.

Der Blaumeier gluckst. Das soll ein Ballermann-Song sein, fragt er künstlich amüsiert und versetzt dem Blatt einen Wischer mit dem Handrücken. Das sei doch ein Kinderlied. Zum Einschlafen. Achtung, gleich komme der Sandmann. Volker reißt ihm das Blatt aus der Hand. Hier gehe es doch nicht um Kindereien, ruft er empört aus. Hier, in dem Refrain hier… Er zeigt auf sein Blatt. In der Zeile hier gehe es doch eindeutig um eine erotische Anspielung. Das mit den Pflaumen, das sei doch… Anspielung, Anspielung, unterbricht ihn der Blaumeier höhnisch, er höre immer nur Anspielung. Und dann auch noch mit Pflaumen. Warum denn nicht mit Preiselbeeren? Jetzt reicht es Volker. Blaubeeren seien wohl eher angebracht, schreit er ironisch, obwohl er weiß, dass Ironie bei Idioten nicht so recht rüberkommt. Doch beim Blaumeier scheint die Ironie trotzdem rübergekommen zu sein. Was Volker mit den Blaubeeren meine, brüllt er ihn an.

Die Tür geht auf und Gutbrodt, der Büromensch, steckt den Kopf rein. Wie weit die Kreativen denn seien mit dem Hit, fragt er. Der Blaumeier springt auf. So könne er nicht arbeiten. Mit solchen Amateuren könne er nicht arbeiten. Auch Volker springt auf. Er rafft seine Blätter zusammen und stürmt zur Tür. Mit DILETTANTEN könne ER nicht arbeiten, ereifert er sich in Lautstärke zehn. Erst recht nicht mit ALKOHOLKRANKEN Dilettanten. Und mit TAUBSTUMMEN DORFDEPPEN auch nicht.

Gutbrodt führt Volker vom Konferenzraum zurück zum Büro und von dort durch ein paar Gänge abwärts zu einer Treppe. Er entschuldigt sich für den Blaumeier. Der sei halt ein bisschen im Stress wegen der Promo für seinen Loisl. Da komme er nicht so recht voran. Volker habe ja bestimmt mitgekriegt, was das für eine Type sei, der Loisl. Volker stimmt ihm aus vollem Herzen zu.

Dann macht Gutbrodt eine schmale Tür auf und sie stehen plötzlich auf der Bühne des “Bierkönig” und gucken auf den leeren Saal runter. Er würde Volker gern um was bitten, erklärt Gutbrodt lächelnd. Wie es denn wäre, wenn er seinen Song mal selber singen würde. So mal zur Probe. Ganz zwanglos und unverbindlich. Volker kann es gar nicht glauben. Aber Gutbrodt scheint es tatsächlich ernst damit zu sein. Keiner singe einen Song so gut wie derjenige, der ihn geschrieben habe, meint er. Also lässt sich Volker drauf ein. Er räuspert sich und legt los:

“Das ist der Daumen, der kitzelt die Pflaumen…”

Gutbrodt unterbricht ihn. Wie es denn wäre, wenn Volker auch die entsprechenden Bewegungen dazu mache. Volker tut ihm den Gefallen. Er singt die Zeile noch mal, hält seinen Daumen dabei hoch und wackelt damit herum. Das könne man im Saal nicht so gut sehen, bemängelt Gutbrodt. Wie es denn wäre, wenn er den Daumen mit den Fingern der anderen Hand umfassen würde. Volker tut, wie ihm geheißen wird. Mit dem Zeigefinger geht es weiter:

“Das ist der Zeiger, der kratzt mir die Eier…”

Wie es denn wäre, wenn… Volker ist einverstanden und kratzt sich mit dem Zeigefinger am Gehänge. Dann kommt der Mittelfinger dran:

“Das ist der Stinker, zwinker, zwinker…”

Hier will Gutbrodt, dass Volker dem Saal seinen Allerwertesten zukehrt, sich vorbeugt und anschaulich vorführt, warum der Stinker Stinker heißt.

Als Volker mit allen Fingern durch ist, bittet ihn Gutbrodt, den Song noch mal am Stück zu singen und zu agieren. Um das Ganze vom Saal aus sehen zu können, steigt er von der Bühne herunter. Und los geht’s. Volker gibt sich alle Mühe, sowohl stimmlich als auch darstellerisch.

Eben hat er zum Schluss den Zweck des kleinen Fingers besungen und in Szene gesetzt — nämlich in seiner Nase und in seinem Ohr zu bohren — da bricht ein lautes Gejohle los. Es kommt von der Empore. Dort oben, direkt gegenüber der Bühne, stehen auf einmal zwei Dutzend Zuschauer und zollen Volkers Vorstellung frenetischen Beifall. Ein paar von ihnen heben Tafeln mit Ziffern hoch, wie sie früher beim Eiskunstlauf üblich waren. Und zwei Fernsehkameras halten auf Volker drauf.

Er blickt mit offenem Mund zwischen der Empore und Gutbrodt hin und her. Der hängt halb über einem Tisch und hält sich den Bauch vor Lachen. Und dann ruft jemand mit lauter Stimme die Frage von der Empore herunter, die Volker befürchtet hat:

“Verstehen Sie Spaß?”

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