EINE LEKTION IN JUGENDLICHEM ALEMANNISCH

heinz.rogel
2 min readJun 1, 2018

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DIE WAHRHEIT ÜBER PIZZEN UND FRITTEN

Die Jugendlichen, die den Ausgang des Supermarkts umlagern, sind hörbar alemannischer Provenienz. Durch die offene Tür führen sie einen regen, rauen und lauten Diskurs mit ihren gleichaltrigen Landsleuten, die in den zwei zum Ausgang führenden Kassenschlangen stehen.

Volker begutachtet die vollgepackten Einkaufswagen der Jungalemannen und nimmt sich daraufhin vor, seinen Kurzeinkauf zu verlängern. Doch statt zu schrumpfen oder sich gar aufzulösen, haben die beiden Kassenschlangen sich nach seinem verlängerten Kurzeinkauf ebenfalls verlängert. Und zwar wegen eben jener beiden vollgepackten Einkaufswagen, die gerade synchron entladen werden. Aus dem einen quellen die Ingredienzen eines jugendlich alemannischen Urlaubsmenüs aufs Laufband, Berge von Beuteln, Bündeln, Kartons und Tüten getrockneter, gefrorener, eingeschweißter Junkfood-Kost, alles fertig und instant und fast und furious. Aus dem anderen Einkaufswagen wandert klinkernd und klankernd ein reichhaltiges Sortiment der unterschiedlichsten Alkoholika aufs Laufband, tinto und blanco, klar und trüb, weich und hart.

Doch was die überdimensionale Länge der beiden Kassenschlangen bewirkt hat, ist nicht unbedingt der überdimensionale Inhalt der beiden Einkaufswagen. Es ist vielmehr die überdimensionale Debatte, die darüber geführt wird. Zwischen den beiden Fraktionen am Laufband einerseits und der Fraktion am Ausgang andererseits.

Wer denn das Ketchup da ausgesucht habe, das schmecke doch wie’ne alte Frau unterm Arm, wird behauptet, das könne nur der Flori gewesen sein, der habe so viel Geschmack wie Zungenwurst. Flori wiederum stellt die ironische Gegenthese auf, die Kati müsse das ja wissen, die könne Geschlechtskrankheiten am Geschmack erkennen. Trotzdem wird Flori weggeschickt, eine andere Sorte Ketchup zu apportieren. Wer denn so’n Bier trinken wolle, heißt es dann, die Plörre schmecke doch wie Laternenpfahl ganz unten. Das müsse grade der Rainer sagen, kommt das Gegenargument, der saufe doch bloß Muschibier. Im Chor erschallt daraufhin der intersubjektive Konsens, keiner schmecke feiner als Rainer seiner. Aber Rainer setzt sich durch und man entsendet eine Abordnung mit dem Auftrag, ein schmackhafteres Bier zu besorgen.

Das Management hat endlich ein Einsehen und eine dritte Kasse wird aufgemacht. Volker wandert aber nicht ab, sondern bleibt hinter dem Einkaufswagen stehen und verfolgt weiterhin die diskursiven Anstrengungen jugendlicher Alemannen auf der Suche nach propositionaler Wahrheit. So erfährt er, dass eine Pizza nichts anderes als “überbackene Kotze” ist, dass Pommes eigentlich “Aknestäbchen” heißen und dass Mayonnaise in Wahrheit identisch mit “Frittensperma” ist.

Er bemerkt, dass er nicht der Einzige ist, der sich für diesen Schauplatz kommunikativer Rationalität interessiert. Auch hinter dem zweiten Einkaufswagen steht ein Zuhörer. Volker erkennt in ihm Joan, den Wirt einer Tapas-Bar am Hafen von Cala Ratjada. Joan ist als Mallorquiner aufgewachsen, hatte jedoch alemannische Eltern. Nach der Episode im Supermarkt halten er und Volker noch ein Schwätzchen. Er sei froh seine Kinder nicht ins Internat nach Alemannia geschickt zu haben, sagt Joan. Das Alemannische werde wohl doch ein bisschen überschätzt.

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