HINTERTEILE MADE IN BRITAIN

heinz.rogel
5 min readSep 28, 2017

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IM BABYLON MALLORCAS

Ich sitze an der Theke einer Tapas-Bar in Cala Ratjada und warte auf meinen Freund Volker. Zwei Barhocker weiter sitzt ein rothaariger und rotgesichtiger Mensch unbestimmbaren Alters, ganz offensichtlich kein Einheimischer. Und auch kein Alemanne, dem Selbstgespräch nach zu schließen, das er mit sich führt. Es ist ein Brite, jedenfalls klingt sein Akzent britisch. Da Volker wie üblich zu spät dran ist, habe ich Zeit, den Burschen zu belauschen und aus den Augenwinkeln zu bespitzeln. Und dabei festzustellen, dass auch er jemanden bespitzelt, nämlich die wohlgeformte junge Barkeeperin, die sich hinter der Theke zu schaffen macht. Einer seiner halblauten Kommentare, in dem es um den Hintern des Mädchens geht, ist so lustig, dass ich unwillkürlich auflachen muss. Das verrät mich und er wendet sich mir zu.

Ob ich nicht auch der Meinung sei, dass diese Pobacken einen geradezu anflehten reinzubeißen, fragt er mich mit ernster Miene. Ich stimme ebenso ernst zu. Sofort erzählt er mir den Witz über die zwei Kannibalen, die auf der Suche nach einer schmackhaften Frau sind. Ich lache ernst und höflich und wir kommen ins Gespräch und diskutieren über die unterschiedlich schmackhaften Hinterteile mallorquinischer, britannischer und alemannischer Frauen. Dabei erwähnt der Brite eine Fernsehsendung mit dem Titel “Love Island” und erkundigt sich nach meiner Meinung über die Hinterteile der Mädchen, die darin zu besichtigen seien. Ich drücke mein Bedauern darüber aus, dass ich die Sendung nicht kenne, und er ist erstaunt. Die Aufnahmen dazu würden doch in Sant Llorenç gemacht, einem Städtchen ganz in der Nähe. Und er beginnt von den Hinterteilen der Love-Island-Girls zu schwärmen.

In diesem Moment trifft Volker ein und wir stellen einander vor. Der Brite heißt natürlich John, jeder andere Name wäre eine Überraschung gewesen. Wir setzen uns an einen der Tische im Hintergrund der Bar. Es zeigt sich, dass mein Freund Volker Love Island kennt, und zwar nicht nur aus dem Fernsehen oder aus dem Internet, sondern aus höchstpersönlicher Fernglasperspektive. Denn Sant Llorenç liegt auf Volkers Leib- und Magenroute durch Mallorcas Llevant und er hat dort auf seinen Fahrradtouren nach Manacor schon oft Rast gemacht.

Volker und John kennen in der nächsten Stunde nur EIN Thema. Also verabschiede ich mich nach einigen Gläsern Bier, die John uns spendiert hat. Den ebenfalls spendierten Whisky habe ich zu Volker rübergeschoben und auf dem Heimweg frage ich mich, wie der Abend wohl für die beiden enden wird. Am nächsten Tag schon erfahre ich es.

Volker und John, der sich als der Sohn eines schwerreichen Kaufhauskönigs aus Birmingham herausgestellt hat, kurven noch am selben Abend in Johns Sportwagen nach Sant Llorenç, um die Kurven der Love-Island-Girls aus der Nähe zu betrachten. Dort erfahren sie aber, dass der Love-Island-Zirkus seine Zelte längst abgebrochen hat. In der Bar, in der man sie mit dieser Nachricht enttäuscht, bietet man den beiden zwar gegen ein horrendes Trinkgeld an, ihnen den Ort zu verraten, wo im Moment die alemannische Version von Love-Island gedreht wird. Doch John misstraut der Qualität alemannischer Hinterteile und beschließt, seinen neuen Freund dann eben an einem anderen Ort von der britannischen Wertarbeit auf dem Gebiet der weiblichen Allerwertesten zu überzeugen.

Als die beiden Ritter der Tafelrunde auf der Suche nach dem heiligen Hintern an jenem anderen Ort ankommen, müssen sie jedoch die nächste Enttäuschung hinnehmen. Das einschlägige Lustschloss ist vor Kurzem von der Guardia Civil eingenommen und verwüstet worden und die britannischen Schlossjungfrauen bieten ihre Hinterteile nun andernorts feil. Also startet John einen letzten Versuch.

Diesmal kutschiert er Volker bis ans andere Ende der Insel, ins Reich uneingeschränkter Verworfenheit, nämlich nach Magaluf, dem britannischen Babylon Mallorcas. Hier glüht und flackert und zuckt und zittert es allerorten fleisch- und neonfarben und nackte Vorder- und Hinterteile jeglichen Geschlechts blitzen und flitzen im Zeitraffer durch die nächtlichen Straßen und Gassen. Doch John hat sich für seinen Gast ein ganz besonderes Programm ausgedacht. Er soll britannische Hinterteile in Echtzeit und aus nächster Nähe inspizieren und in allen Einzelheiten begutachten dürfen, verspricht er Volker.

Zu diesem Zweck führt John ihn in eine hochpreisige Kleidungs-Boutique, die offenbar zum Imperium seines Vaters gehört, und staffiert sich und Volker, der gar nicht weiß, wie ihm geschieht, mit den Insignien des British Showbiz aus: tiefdunkle Sonnenbrille, knallige Union-Jack-Krawatte, weißer Brioni-Blazer. Dann bringt er Volker zu einer Großraum-Disco und dort in eine Art Geschäftszimmer, an dessen Tür ein Schild mit der Aufschrift “Casting” hängt. Er instruiert Volker, sich so lässig wie möglich in einem der Chefsessel auszubreiten und während der folgenden Veranstaltung keine Äußerung zu tun, die ihn als Alemannen kenntlich macht, sondern nur Laute der Anerkennung oder gegebenenfalls des Missfallens auszustoßen.

Nach einer Weile dringen die Stimmen einer wartenden Menge durch die Tür, es sind ausschließlich weibliche Stimmen. Johns Mobiltelefon summt, er gibt eine Anweisung durch und kurz darauf öffnet sich die Tür. Ein junges, hübsches, wenn auch etwas molliges Mädchen tritt ein, sieht sich um und stellt sich in ungelenker Pose vor den Schreibtisch, hinter dem John und Volker sitzen. John lässt einen langen Blick über ihre Figur schweifen, macht eine Handbewegung, mit der er das Mädchen dazu auffordert, sich 360 Grad um die eigene Achse zu drehen, blickt daraufhin Volker an, der folgsam ein undefinierbares Knurren von sich gibt, und stellt dann seine erste Frage.

Was das Mädchen tun würde, um in die engere Wahl für Love Island zu kommen, will John wissen. Alles, antwortet die Gefragte, ohne zu zögern. John hebt die Augenbrauen hinter seiner Sonnenbrille. Alles, wirklich alles? Ein unsicheres Kichern, dann mit etwas leiserer Stimme die Bestätigung: Alles.

Welches ihr größtes Plus sei, ist Johns nächste Frage. Kurze Pause und dann: ihr Po. John macht eine Kopfbewegung, die Neugier ausdrücken soll. Das Mädchen dreht sich um und lässt ihr größtes Plus begutachten. John verlangt, dass sie ihr Plus bewegt, und sie bewegt es. John bemängelt, dass sie ihr Plus unter Hotpants versteckt halte, und sie holt es aus dem Versteck. John blickt grinsend zu Volker hinüber und Volker knurrt Anerkennung.

Die nächste Kandidatin wolle ebenfalls alles tun, um bei Love Island mitmachen zu können. Ihr Plus sei ihre Oberweite. Eine recht füllige Oberweite. Ob die “gemacht” sei, will John wissen. Die Gefragte nickt stolz und entblößt unaufgefordert ihr Gemachtes. Volker bedenkt das füllige Gemachte mit einem skeptischen Knurren. John gönnt ihm zur Entschädigung den Anblick ihres ungemachten, dafür aber ausgepackten Hinterteils.

Das dritte Hinterteil spaziert schon ausgepackt herein, nämlich im String-Tanga. Ohne Johns Frage abzuwarten, bekundet die Besitzerin des Hinterteils, sie sei offen für alles, außerdem sexy wie die Hölle und verrückt wie ein Hutmacher. In ihrem runden Plus-Gesicht klappern gemachte Augenlider und verschwindet ein gemachtes Stupsnäschen und schwellen gemachte Lippen.

Und so paradieren noch etliche blondierte, tätowierte, konstruierte, aufpolierte, exaltierte, euphorisierte britannische Dämchen in allen möglichen und unmöglichen Stadien der Gemachtheit vor den beiden vorgeblichen Showbiz-Magnaten auf und ab. Bis John schließlich übers Mobiltelefon durchgibt, die endgültige Wahl sei getroffen. Er zählt eine Reihe von Namen auf und bestellt die genannten Glücklichen zu unterschiedlichen Uhrzeiten an verschiedene Strandabschnitte von Magaluf. Dann verkündet er seinem Gast, das erste britannische Hinterteil sei angerichtet. Volker brauche nur noch reinzubeißen.

Volker erzählt, er habe den Rest der Nacht in einem Hotel und nicht am Strand von Magaluf verbracht. Ich will es ihm glauben.

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