IM ZWISCHENREICH DER BANALEN POLITISCHEN UNTERHALTSAMKEIT
Von der Umkehrung salomonischer Weisheiten und brechtscher Sprüche
Cometh the Hour, Cometh the Man
Das Buch “Prediger Salomo”, aus dem schon Bob Dylan und später die Byrds geschöpft haben, bietet salomonische Weisheiten zum Weitersagen und zum Ausprobieren an. Darunter auch ein paar recht zweifelhafte. Zum Beispiel dass es für alles eine Stunde gebe, eine Stunde fürs Gebären und eine fürs Sterben, eine Stunde fürs Pflanzen und eine fürs Ernten, eine Stunde fürs Töten und eine fürs Heilen… Nicht gerade als Zitat beim Wort zum Sonntag geeignet, eher als Untertitel für ein Enthauptungs-Video.
Die heutige Skala der Weltpolitik zeigt am oberen Ende die Banalität der Verwaltung, am unteren Ende die Banalität des Bösen an. Und dazwischen das, was wir hierzulande Realsatire nennen. In diesem Zwischenreich geht es zwar auch banal zu, aber wenigstens auf unterhaltsame Weise. Zum Beispiel den Bocksprüngen eines alten Satyrs zuzusehen, der im Kostüm des italienischen Ministerpräsidenten auftritt, ist mindestens so amüsant wie der Besuch einer Goldoni-Komödie. Oder über die Medien mitzuerleben, wie ein wuschelköpfiger Maulheld von seinem intriganten besten Freund politisch gemeuchelt wird, dann aber zum Außenminister aufsteigt, das ist bester Shakespeare mit Suspense und Comic Relief. Oder die Box-Rituale eines US-Wahlkampfs zu verfolgen, in denen jeder erst mal jeden ausknocken muss, bis einer übrig bleibt, den die Ausgeknockten dann beim Parteitag “endorsen” müssen, das ist tolles politisches Show-Biz. In diesem Jahr wird den Zuschauern noch eine Extra-Show mitgeliefert, nämlich die eines Präsidentschaftskandidaten, der die primitivsten Regungen der von ihm anvisierten Wählerschaft aufrührt. Wir werden Zeugen, wie ein selbstverliebter politischer Dilettant die Profis des Establishments vor sich her treibt, und wir schwanken zwischen dem Lachen über einen Simplicissimus und dem Grausen vor der Erschütterung eines politischen Systems, von dem wir ökonomisch und militärisch abhängen.
Trotzdem befinden wir uns mit diesem Lachen und mit diesem Grausen noch im Zwischenreich der banalen politischen Unterhaltsamkeit. Wenn auch eher am unteren Ende der Skala. Am oberen Ende, da, wo die verwaltete Welt uns vermodert anhaucht, hat sich die deutsche Realsatire eingerichtet. Da sitzt eine dickliche Dame mit breitem Gesäß vor den Kameras, die sich von Partei zu Partei und von Amt zu Amt bis ganz nach oben gesessen hat. Und sitzt und sitzt und sitzt. Und neben ihr sitzt ein noch dicklicherer Herr mit noch breiterem Gesäß, der sich sein Amt mit noch ausgeprägterer Sitzfähigkeit ersessen hat. Und das realsatirische Programm der beiden? Hier mal ein Versprecher, da mal ein sogenanntes Missverständnis, dort mal ein Ausraster beim Interview, keine lustigen Satyrspiele, keine Dolchstoß-Szenen, keine öffentlichen Knockouts. Im Ganzen eine wenig unterhaltsame Veranstaltung. Seufzend blicken die Älteren unter uns zurück in die Zeiten, als ein knurriger, schiefmäuliger Altgenosse nicht nur den politischen Gegner, sondern auch den Bundeskanzler aus der eigenen Partei in den Hintern trat. Oder als ein bayerischer Stiernacken Bierzeltreden hielt, die ebenso demagogisch wie erheiternd waren. Ja, die alten Zeiten!
“Sag ich doch, alles hat seine Zeit”, meldet sich hier der weise Salomo. “Mal ist es Zeit zum Lachen, mal ist es Zeit zum Gähnen, mal ist es Zeit zum…” — Nein, umgekehrt wird ein Schuh draus, Salomo. Nicht die Zeiten ändern sich und damit uns, wie dein Musikantenkollege Bob Dylan es uns vorsang, sondern wir ändern die Zeiten. Als im letzten Jahrhundert in diesem Land Menschen an die Macht kamen, die Mord und Totschlag zur Staatsräson machten, widersetzten sich ihnen nicht die Zeiten, sondern die Menschen. Menschen, die nicht daran interessiert waren, sich gegenseitig umzubringen. Ein bärbeißiger Intellektueller stand einem größenwahnsinnigen Volkstribunen gegenüber, rang ihn nieder und wurde zum Helden einer Epoche.
“Unglücklich das Land, das Helden nötig hat”, heißt es in einem von Bertolt Brechts Stücken. Kehren wir auch diesen Spruch um und beglückwünschen wir uns dazu, in einem Land zu leben, das keine Helden nötig hat. Und trösten wir uns damit, dass deswegen auch nur mäßig unterhaltsame Protagonisten auf unserer politischen Bühne auftreten — nein, Platz genommen haben.
Auf dass ein Gretchen mit breitem Hintern einem Faust mit noch breiterem Hintern die berühmte Frage stelle: “Wie hältst du’s mit der Gesäßpolitik?”