KRITIK DER KLAGENFURTER VERNUNFT

heinz.rogel
2 min readJul 13, 2017

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AUF DIE PLÄTZE, FERTIG, VORLESEN!

Welchen Leser imaginiert ein Autor beim Verfertigen seiner Klagenfurter Geschichte? — Einen der Juroren des Ingeborg-Bachmann-Preises. Und welcher Leser bleibt länger an dieser Geschichte dran als die wenigen Sekunden, die zur Lektüre der ersten Sätze nötig sind? — Eben dieser Juror. Zumindest dann, wenn er beschlossen hat, die Geschichte zum Klagenfurter Medienzirkus mitzunehmen. Und außerdem eine Reihe von Lesern, die beschlossen haben, sich dem Zirkus um die Geschichte auszusetzen. Und es normalerweise bereuen.

Denn diese Geschichte ist eine Klagenfurter Geschichte. Sie ist also nach den Regeln der Klagenfurter und nicht nach denen der literarischen Vernunft entstanden. Die letztere lässt sich nicht so einfach definieren, die erstere dagegen schon. Hier einige zur Auswahl:

· Der Autor hat noch keinen lesbaren eigenen Stil entwickelt.

· Seine Geschichte muss so langweilig wie möglich beginnen und ebenso weitergehen.

· Eine Handlung darf gar nicht oder höchstens bruchstückhaft erkennbar sein.

· Die handelnden Personen sollten rätselhafte Wesen sein, etwa nach dem Muster eines Kafka-Käfers.

· Die Erzählperspektive ist ohne Relevanz.

· Ein Sinn, eine Absicht, gar ein Engagement der Geschichte ist bei Strafe seines Verrisses zu vermeiden.

Wenn ein Autor diese Regeln als Rezeptur verstanden und seine Geschichte entsprechend zubereitet hat und wenn ein Juror sie zur Klagenfurter Verkostung mitbringt, ist das für die anderen Juroren ein gefundenes Fressen. Denn die Regeln der Klagenfurter Vernunft werden absurderweise sowohl zum Verriss als auch zum Lob für die mitgebrachten Geschichten eingesetzt. Zum Lob setzt der Juror sie für die von ihm selbst selbst mitgebrachte ein, zum Verriss für alle anderen. Und eine solche Geschichte zu verreißen ist kein Kunststück. Wer findet auch eine amateurhaft erzählte, langweilige Geschichte ohne erkennbare Handlung gut, in der dem Leser eine rätselhafte Figurenkonstellation aus der, äh, sagen wir mal allwissenden Erzählperspektive eines, äh, na zum Beispiel eines Frühstückseis vorgestellt wird. Zwar mit Scherz und Ironie, aber ohne jede tiefere Bedeutung. Weder in noch zwischen den Zeilen. Wie in der Geschichte, welche die Britin Sharon Dodua Otoo im Jahr 2016 einreichte. Und damit nicht etwa eklatant durchfiel, sondern den Bachmann-Preis errang.

Fazit: Autor, schreibe nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass deine Geschichte als allgemeine Richtschnur für die Regeln der literarischen Vernunft gelten könne und dass deine Geschichte somit keine Klagenfurter, sondern eine gut erzählte werde.

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