NOMEN EST OMEN

heinz.rogel
3 min readApr 3, 2019

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OASEN, PARADIESE, ZUFLUCHTSSTÄTTEN

April, April? — Nein! Weder Scherz noch Satire noch Ironie sind angesagt. Und erst recht keine tiefere Bedeutung. Stattdessen tiefer geschäftlicher Ernst. Denn heute beginnt die Hotelsaison in Cala Ratjada. Die Hotelparkplätze, gestern noch lustig leer, sind heute ernsthaft voll, aus den Hotelbussen quellen ernstlich Erholung beanspruchende Touristen und die ernst zum bewölkten Himmel aufblickenden Hotelgäste auf den Balkons haben im Ernst Sonne gebucht.

Volker ist auf einer Radtour ins Grüne, hat gerade eine Pause eingelegt und sitzt auf der Terrasse einer Tapas-Bar. Er schlürft sein Bier und sieht zu, wie es vor dem neueröffneten Hotel schräg gegenüber rein- und raus- und rumwuselt. Ein krawattierter Herr am Nebentisch spricht ihn an. Er habe seinem Gespräch mit der Kellnerin vorhin entnommen, dass Volker Resident sei und würde ihm gern ein paar Fragen stellen. Volker ist einverstanden und gibt dem krawattierten Herrn Auskunft über den Durchgangsverkehr, die Verkehrsanbindung und die Parkmöglichkeiten vor dem Hotel gegenüber. Der krawattierte Herr ist Hotelinspektor und trotz Krawatte ein humorvoller, wenn auch etwas skurriler Zeitgenosse. Letzteres bemerkt Volker, als er ihn über die Hotels in Cala Ratjada und Umgebung ausfragt. Vor allem will er wissen, welche der Hotelinspektor empfehlen könne und welche nicht.

Empfehlen? Der Hotelinspektor gluckst vor sich hin. Empfehlen könne er kein einziges. Er liefere seinem Auftraggeber zwar regelmäßig Bestbewertungen ab, doch er rate dringend davon ab, seinen und anderen Hotelbewertungen Glauben zu schenken. Volker ist bass erstaunt. Was er denn dann seinen Verwandten und Bekannten sagen solle, wenn die ihn nach einem Hotel fragten und vor einer Enttäuschung gewarnt werden wollten. Der Hotelinspektor setzt sich zu Volker an den Tisch. Der Name, raunt er, es gehe nur um den Namen. Wolle man Enttäuschungen vorbeugen, so achte man unbedingt auf den Namen eines Hotels.

Wenn in einem Hotelnamen das Wort “Playa” auftauche, sei im Umkreis von zehn Kilometern todsicher kein Strand zu finden. Wenn das Wort “Reposo”, also Ruhe, im Namen vorkomme, dann liege das Hotel in der Regel direkt an einem stark frequentierten Verkehrskreisel. Sei von “Vista” oder “Mirada” die Rede, also von Aussicht oder Ausblick, dann blicke man ganz evident auf eine Mülldeponie oder auf die Kräne einer Großbaustelle. Ein “Oasis” im Namen bedeute, dass das Hotel von Diskotheken, Spielhallen und Biergärten umgeben sei. Ein Hotel “Paraíso” liege in einer Gegend, in der Drogenhändler, Prostituierte und Serienmörder unterwegs seien. “Palacio” sei der Name für Hotelgebäude, die in der Frühen Bronzezeit errichtet worden seien. “Jardines”, also Gärten, würden sich Hotelanlagen nennen, die im Bereich eines Geröllfelds oder im Gelände eines aktiv betriebenen Steinbruchs lägen. Und bei einem “Santuario”, einer Zufluchtsstätte, im Hotelnamen müssten die Gäste tags und nachts in ihren Zimmern Zuflucht vor den Mücken, Zecken und Wespen des Naturschutzgebiets suchen, in dem sich das Hotel befinde.

Volker fragt sich erst, ob der Hotelinspektor ihn auf den Arm nehmen wolle. Dann blickt er zu dem neuen Hotel hinüber und liest den Namen über dem Eingang: “Bell Aire”, gute Luft. Und was befindet sich auf der anderen Seite des Gebäudes? Vor den Balkons und Terrassen? Eine Kläranlage.

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