RIESENGERÖLL

heinz.rogel
3 min readJun 27, 2019

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EIN ZYKLOP, EIN TOURI UND EIN RESIDENT

An der Gabelung, die zum “Claper des Gegants” führt, steigt Volker vom Rad. Er will nachsehen, ob das Geröll auf dem “Steingelände der Riesen” noch ordnungsgemäß unordentlich rumliegt oder ob es inzwischen von Touris, die Ammoniten, Ziegenschädel und Wegweiser sammeln, abtransportiert worden ist. Der Weg, auf dem er sein Rad halb schieben, halb tragen muss, kommt ihm heute länger vor als sonst. Also setzt er sich unter einen Olivenbaum, um zu rasten. Es ist noch nicht mal Juli, doch die Sonne ist schon in hochsommerlicher Laune und er nickt ein.

Als er aufwacht, hängt er an den Riemen seines Rucksacks vor dem riesigen Auge eines Zyklopen. Der beschnüffelt sein T-Shirt, befühlt einen seiner Oberschenkel und grunzt abfällig. Was es denn da zu grunzen gebe, fragt Volker pikiert. Er rieche schon ziemlich abgelebt, erwidert der Zyklop, und er fühle sich auch recht zäh an. Wenn er mit so was heimkäme, würde seine Frau ihn mit Geröll bewerfen und gleich wieder losschicken einen frischeren Touri zu besorgen. Erstens sei er kein Touri, belehrt Volker ihn und zappelt unwillig mit den Beinen. Und außerdem komme es da auf die Zubereitung und die passende Beilage an. In einer gekonnt gegarten Paella oder an einem Pisto mit den richtigen Zutaten schmecke auch ein älterer Resident noch relativ annehmbar. Der Zyklop schüttelt den Kopf und seufzt, seine Frau habe nicht gerade das Zeug zur Köchin des Jahres. Er lässt Volker zu Boden und fragt ihn, ob er wenigstens ein bisschen kampflustig sei und zum Spielzeug für seinen dreijährigen Sohn tauge. Das komme drauf an, gibt Volker Auskunft, im Tischtennis zum Beispiel sei er noch ganz gut drauf. Wieder schüttelt der Zyklop den Kopf. Es müsse ein Spiel sein, bei dem das Spielzeug auch mal die eine oder andere Schramme durch eine banderilla abkriegen könne, ohne sich gleich tot zu stellen oder gar tatsächlich zu versterben, dahinzuscheiden, das Zeitliche zu segnen, vor seinen Schöpfer zu treten, ins Gras zu beißen, den Löffel abzugeben, die Mühsal des irdischen Daseins hinter sich zu lassen und in Frieden zu ruhen. Volker sieht sich verstohlen nach dem Notausgang um. Da dieser sich nicht in unmittelbarer Nähe befindet, verlegt er sich aufs Argumentieren. Seines Wissens seien solche Spiele auf Mallorca verboten, bringt er in bedauerndem Tonfall vor, vor allem wenn es sich bei dem Spielzeug um einen alemannischen Staatsbürger handle. Der Zyklop klappert nachdenklich mit seinem Augenlid. Wozu er denn sonst so zu gebrauchen sei, fragt er Volker. Der klappert ebenso nachdenklich mit seinen zwei Augenlidern. Er sei gar nicht so schlecht im Biertrinken, sagt er dann und fragt, ob der Zyklop und seine Frau für diese Fähigkeit vielleicht eine angemessene Verwendung hätten. Der Zyklop beugt sich zu ihm runter und rüttelt ihn an der Schulter.

Volker öffnet die Augen und sieht ein besorgt dreinblickendes Touri-Gesicht über sich hängen. Ob alles okay sei, will der Touri wissen. Volker krächzt, das könne er ihm erst nach einem Glas Bier verraten. Der Touri holt ein Fass Bier und zwei Gläser aus seinem unförmigen Rucksack. Was er denn so alles sammle, fragt Volker, während der Touri die Gläser vollzapft. — Kakteen. — Und was sonst noch alles? — Agaven. — Und? — Ammoniten, Ziegenschädel, Wegweiser, Riesengeröll, Dünensand, Neptungras, Plastiktüten, Schwimmhilfen, Wolltangas, Bierfässer, Sangriaeimer, Wodkaflaschen, Kaviarbesteck, Kalaschnikows, Matrjoschkas, Russenschädel, Russenfüße, Russennasen, Russenzöpfe, Russendiskos…

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