SPRECHEN SIE SPANISCH?
GEFAHREN DES KASTILISCHEN, KATALANISCHEN UND MALLORQUINISCHEN
Mein Freund Volker sagt, er habe seine Versuche, Spanisch zu lernen, schon lange aufgegeben. Nicht etwa weil die Sprache zu sperrig gewesen sei. Gesperrt habe sich nicht die Sprache, etwa mit ihrem gerollten R oder mit den Formen des Subjuntivo oder mit irgendwelchen falschen Vokabel-Freunden, gesperrt hätten sich die SPRECHER dieser Sprache. Sofort berichtigt sich Volker. Nein, die Sprecher dieser SPRACHEN. Und dann erzählt er mir von einer schmerzlichen Lektion, die er darüber erhalten habe.
In den ersten Tagen nach seiner Ankunft in Cala Ratjada bediente Volker sich des Alemannischen noch jedes Mal mit einem bedauernden Lächeln. Beispielsweise im Supermarkt, wenn er wissen wollte, in welchem Regal der Senf versteckt worden war. Doch man gab ihm jedes Mal freundlich und bereitwillig auf Alemannisch Auskunft. Ebenso beim Bäcker, in der Apotheke oder an der Tankstelle. Auch als er auf dem Wochenmarkt einen einheimischen Losverkäufer über den Sinn des Lebens ausfragte, wurde er freundlich und bereitwillig und vor allem alemannisch darüber aufgeklärt.
Als er jedoch begann, wie ein pflichtbewusster Immigrant es eben so tut, mit einem Sprachführer ausgerüstet, seine Fragen auf Spanisch zu stellen, verdüsterten sich die Mienen der Gefragten jedes Mal schlagartig. Sogleich übersetzten sie seine Frage ins Alemannische, fragten nach, ob er dieses oder jenes damit gemeint habe, und gaben dann, freundlich und bereitwillig wie immer, ihre Antwort. Auf Alemannisch natürlich. Das Rätsel hinter diesem seltsamen Verhalten löste sich für Volker auf, als er eines Tages Zeuge eines Verkehrsunfalls wurde. Leider mit etwas unangenehmen Begleitumständen.
Auf dem Parkplatz eines Supermarkts in Cala Ratjada parken ein Mercedes und ein Fiat Panda gleichzeitig aus, der Mercedes rückwärts und der Panda vorwärts. Volker ist gerade dabei, sein Fahrrad abzuschließen, und sieht zu, wie der Panda das Heck des Mercedes rammt. Oder wie — je nach Perspektive — der Mercedes zurückstößt und die Kühlerabdeckung des Panda demoliert.
Die beiden Fahrer steigen aus, betrachten die Schäden an ihren Wagen und beginnen sich gegenseitig anzuschreien. Nach einer Weile sieht sich der Mercedesfahrer um, entdeckt Volker, den einzigen Zeugen weit und breit, und nähert sich mit schnellen Schritten. Der Pandafahrer schließt sich ihm unverzüglich an. Und im nächsten Moment findet sich Volker von links und rechts eingedeckt mit zwar äußerst interessanten Thesen und Antithesen, Gutachten und Gegengutachten, Diktionen und Kontradiktionen, Hypotaxen, Parataxen, Anaphern, Metaphern und Epiphern, aber unglücklicherweise versteht er kein einziges Wort davon. Er sendet nach links und nach rechts mimische und gestische Signale aus, um das den beiden Rednern zu vermitteln, doch es dauert einige Zeit, bis sie verstanden haben, dass sie nicht verstanden werden.
Schließlich fragt der Mercedesfahrer Volker auf Alemannisch, ob er gesehen habe, wie ihm das ignorante Rindvieh da reingefahren sei. Noch bevor Volker antworten kann, verlangt der Pandafahrer von ihm, ebenfalls auf Alemannisch, den arroganten Hurensohn da zu fragen, ob er seinen Führerschein für hundert Peseten im Rathaus gekauft habe. Daraufhin beauftragt der Mercedesfahrer Volker damit, er möge dem schwuchteligen Scheißkerl da antworten, in Madrid bezahle man seinen Führerschein mit Euros und nicht mit Peseten wie in dem faschistischen Scheißkaff hier.
Nach ein paar weiteren lautstark geäußerten Aufträgen und Gegenaufträgen an Volkers Adresse, gewürzt mit weiteren Injurien, wendet er sich an den Mercedesfahrer und schlägt ihm vor, er möge doch einfach seine Versicherungsdaten mit dem Pandafahrer austauschen, ein paar Fotos machen und den Rest die Bürokraten erledigen lassen. Der Mercedesfahrer lehnt es jedoch strikt ab, mit dem Sauhund von einem Katalanen da in Verhandlungen einzutreten. Zumal er selbst nicht Katalanisch, sondern die gesetzlich einzig zugelassene Sprache in Spanien spreche, und das sei Kastilisch.
Daraufhin rückt der Pandafahrer Volker bedrohlich auf den Leib und befiehlt ihm, dem kastilischen Arschgesicht da klarzumachen, dass er es nicht mit einem katalanischen Bauerntrampel zu tun habe, sondern mit einem Mallorquiner. Und dass er als solcher bei seiner Mutter und bei allen Heiligen schwöre in seinem Leben weder ein kastilisches noch ein katalanisches Wort über die Lippen gebracht zu haben und dass das auch den Rest seines Lebens lang so bleiben werde.
Nun packt der Mercedesfahrer Volker beim Hals, würgt und schüttelt ihn und ermuntert ihn dann dazu, er möge dem Sauhund von einem Mallorquiner da nahelegen, endlich seine Versicherungsdaten rauszurücken. Volker kommt diesem Anliegen röchelnd nach, doch der Pandafahrer besteht darauf, zuerst die Versicherungsdaten des madrilenischen Hurenbocks da einsehen zu wollen. Und verleiht seinem Wunsch Nachdruck, indem er Volker ausknockt und den am Boden Liegenden mit heftigen Fußtritten bearbeitet.
Er habe diese unangenehme Begebenheit wohl nur überlebt, erzählt Volker, weil in diesem Moment ein alemannisches Rentnerpärchen mit seinem Einkaufswagen aus dem Supermarkt gekommen sei. Aus den Augenwinkeln habe er noch verschwommen wahrnehmen können, wie die beiden Streithähne sich auf das Pärchen gestürzt und es jeweils in den kastilischen und den mallorquinischen Schwitzkasten genommen hätten. Dann sei es ihm gelungen, sich zu seinem Fahrrad zu schleppen und sich in Sicherheit zu bringen.
Im Übrigen rät er mir, es ihm nachzutun und in der Öffentlichkeit weder ein kastilisches noch ein katalanisches noch ein mallorquinisches Wort in den Mund zu nehmen. Die Folgen könnten katastrophal sein.